Steuerschuld kraft Rechnungslegung – Neuregelung durch das AbgÄG 2023 Anfrage der Landwirtschaftskammer vom 4.10.2023
Ein USt-pauschalierter Landwirt betreibt eine Direktvermarktung. Er erfährt, dass die Regelungen zur Steuerschuld kraft Rechnungslegung gelockert wurden und entschließt sich, für alle seine Verkäufe den Durchschnittssteuersatz von 13 Prozent zu verrechnen, weil er dadurch nicht mehr zwischen Unternehmer:innen (hier korrekter Steuersatz) und Nichtunternehmer:innen (hier nur teilweise korrekter Steuersatz) unterscheiden muss. Es stellt für ihn eine Arbeitserleichterung dar. Der Preis für seine Kunden bleibt gleich, da schon bisher im Hofladen und am Markstand nur Bruttopreise ausgeschildert waren.
Kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall die Steuerschuld kraft Rechnungslegung aufgrund der neuen Rechtslage entfällt und der Landwirt somit die gesamte USt einbehalten kann?
Mit der Neuregelung des § 11 Abs. 12 UStG im Rahmen des AbgÄG 2023, BGBl I 2023/110, entfällt die Steuerschuld kraft Rechnungslegung, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil die Lieferung oder sonstige Leistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Nach § 22 Abs. 2 UStG gelten für Steuerbeträge, die nach § 11 Abs. 12 UStG geschuldet werden, die allgemeinen Vorschriften des UStG mit der Einschränkung sinngemäß, dass ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt. Die Regelung betrifft daher auch USt-pauschalierte Land- und Forstwirt:innen. Oftmals wird die Steuerschuld kraft Rechnungslegung im Zusammenhang mit dem Wechsel von der USt-Pauschalierung zur Regelbesteuerung in Verbindung gebracht (UStR 2000 Rz 2919). Aber auch innerhalb der USt Pauschalierung gibt es eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung, wenn 13% statt 10% USt verrechnet werden. Die Aufteilung der Steuersätze in einen 10%igen und damals 12%igen Durchschnittssteuersatz ist auf das Steuerreformgesetz 2000, BGBl I 1999/106, zurückzuführen. Die notwendig gewordene Erhöhung des Durchschnittssteuersatzes sollte offenbar nicht gegenüber Konsument:innen gelten, damit gegenüber diesen kein höherer als der ermäßigte Steuersatz zur Anwendung kommt. Daher galt der höhere Steuersatz ab dann nur noch für Leistungen gegenüber Unternehmer:innen für ihre Unternehmen. Durch das Steuerreformgesetz 2015/16, BGBl I 2015/118, kam es zu einer weiteren Differenzierung der Steuersätze. Der seitdem 13%ige Steuersatz kommt zum Teil auch gegenüber Nichtunternehmer:innen zur Anwendung, was die Abgrenzung zusätzlich verkompliziert. Die Trennung der Steuersätze führt bei Direktvermarkter:innen zu hohem Verwaltungsaufwand. Bei der Rechnungs- bzw Belegerstellung muss darauf geachtet werden, wer Empfänger:in ist. Zusätzlich muss bei der Lieferung an Konsument:innen eine korrekte Zuordnung der Produkte zum zugehörigen Steuersatz erfolgen.
Da sowohl USt-pauschalierte Land- und Forstwirt:innen als auch Nichtunternehmer:innen in Bruttopreisen kalkulieren und einkaufen, hat diese Differenzierung jedoch in der Praxis keine Auswirkungen auf den Preis. Beide Vertragsparteien haben den Endpreis vor Augen, ob 10% oder 13% „hinterlegt“ sind, ist schlichtweg irrelevant.
Aus diesem Grund könnten Land- und Forstwirt:innen die Neuregelung zur Steuerschuld kraft Rechnungslegung zum Anlass nehmen, zukünftig mit weniger Verwaltungsaufwand abzurechnen. Daher erlaubt sich die LK Österreich folgende Anfrage an das Bundesministerium für Finanzen zu übermitteln:
Beispiel:
Ein USt-pauschalierter Landwirt betreibt eine Direktvermarktung. Er erfährt, dass die Regelungen zur Steuerschuld kraft Rechnungslegung gelockert wurden und entschließt sich, für alle seine Verkäufe den Durchschnittssteuersatz von 13% zu verrechnen, weil er dadurch nicht mehr zwischen Unternehmer:innen (hier korrekter Steuersatz) und Nichtunternehmer:innen (hier nur teilweise korrekter Steuersatz) unterscheiden muss. Es stellt für ihn eine Arbeitserleichterung dar. Der Preis für seine Kunden bleibt gleich, da schon bisher im Hofladen und am Markstand nur Bruttopreise ausgeschildert waren.
Kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall die Steuerschuld kraft Rechnungslegung aufgrund der neuen Rechtslage entfällt und der Landwirt somit die gesamte USt einbehalten kann?
Es kann argumentiert werden, dass keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil die Lieferung oder sonstige Leistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wird, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Gegenüber Unternehmer:innen erfolgt der korrekte Steuerausweis gemäß § 22 Abs. 1 UStG.
Beantwortung:
Wie in Ihrem Schreiben zutreffend ausgeführt wird, wurde mit dem Abgabenänderungsgesetz 2023 (AbgÄG 2023), BGBl. I Nr. 110/2023, eine Anpassung von § 11 Abs. 12 UStG 1994 iSd Urteils des EuGH vom 8.12.2022, C-378/21, P-GmbH, vorgenommen. Aufgrund dieser Änderung schuldet ein Unternehmer, der in einer Rechnung einen Steuerbetrag ausgewiesen hat, der auf Basis eines falschen Steuersatzes berechnet wurde, unter bestimmten Voraussetzungen den zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrag nicht. Die Entscheidung des EuGH erfolgte ausschließlich im Lichte der Prämisse, dass die Kunden des Ausgangsverfahrens im betreffenden Steuerjahr ausschließlich Endverbraucher waren, die hinsichtlich der ihnen in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren (siehe EuGH vom 8.12.2022, C-378/21, P-GmbH, Rn 18). Voraussetzung für den Entfall der Steuerschuld ist dem EuGH zufolge, dass keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil die Leistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (siehe EuGH 8.12.2022, C-378/21, P-GmbH, Rn 25). In einem solchen Fall ist eine Berichtigung der Rechnung für den Entfall der Steuerschuld nicht erforderlich. Erfolgt die Leistungserbringung ausschließlich an Endverbraucher, gilt diese Regelung auch im Bereich pauschalierter Land- und Forstwirte, wenn diese in einer Rechnung einen unrichtigen Steuerbetrag iSd § 11 Abs. 12 UStG 1994 in Rechnung gestellt haben. Anzumerken ist auch, dass das UStG 1994 bei Leistungserbringung an Nichtunternehmer grundsätzlich keine Rechnungslegungsverpflichtung vorsieht. Ist es jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Leistung auch an einen Unternehmer erbracht wird, liegt ein anderer Sachverhalt als jener vor, der dem EuGH-Urteil P-GmbH zugrunde gelegen ist und zur Änderung von § 11 Abs. 12 UStG 1994 mit dem AbgÄG 2023 geführt hat. In diesen Fällen ist eine Gefährdung des Steueraufkommens nicht ausgeschlossen, da auch vorsteuerabzugsberechtigte Leistungsempfänger vorliegen (können). Abschließend ist anzumerken, dass jene Vorsteuerbeträge, die pauschalierten Umsätzen zuzurechnen sind, gemäß § 22 Abs. 1 UStG 1994 in gleicher Höhe festgesetzt werden. Durch diese Äquivalenz von eigener Steuerschuld und Vorsteuern entfällt mangels Zahllast oder Überschuss die Notwendigkeit der Ermittlung der Steuer und ihrer Bemessungsgrundlagen (vgl. zB Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz5, § 22 Tz 4). Werden jedoch unrichtige Steuerbeträge in Rechnung gestellt, ist diese Gleichwertigkeit zumindest hinsichtlich der Vorsteuer nicht mehr gegeben, wodurch eine Festsetzung bzw. Veranlagung erforderlich sein wird (siehe § 22 Abs. 2 UStG 1994).